The Dancing Partner
Schwefel – The Dancing Partner (März 1986)
composed & produced by Norbert Schwefel
Remastered at Sulphur Sonic November 2010
mit Technischer Unterstützung von Rene Schmidt, Volker Langenfelder und Robin Röcker

Tracklist
- Intro (1:12)
- Mechanical Toys (4:03)
- What A Capital Idea (4:39)
- Listening With Both his Ears (3:32)
- Secret (3:43)
- Lieutenant Fritz (7:02)
- In The Fear Of The Waxen Face (4:18)
- Dancing Paradise (4:42)
- Laughing (5:12)
- The Waltz (5:41)
- The Last Dance (7:53)
Das dritte Tape – The Dancing Partner – und das erste unterbewusste Fuck You! der Schwefel Geschichte
Konzept-Kassette? Ein Unwort, das es wohl auch nie gegeben hat, denn es ist abgeleitet von dem 70er Begriff Konzeptalbum. Typische Konzeptalben waren die Tommy Oper von The Who oder The Lamb von Peter Gabriels Genesis. In einer Zeit, in der No Budget Produkte wie Tapes angesagt waren, gerieten Konzeptalben übel in Verruf und niemand, der mir bekannt gewesen wäre, machte zu dieser Zeit ein solches. Die vermeintliche Elite des Untergrunds war völlig geläutert von Pink Floyd – The Wall, welches die No Budget Bewegung wahrscheinlich erst in Gang setzte. Dieses Trauma saß fünf Jahre nach The Wall noch tief. Doch wir befanden uns jetzt mitten im Schwefel Schizophrenic Party Hype und ich hatte, ohne drüber nachzudenken, mit diesem Tape eigentlich ein Unding geschaffen, eine Konzept-Kassette basierend auf einer Novelle von Jerome K. Jerome (from Novel Notes, London, 1893).
Es handelt von einem älteren Herren namens Nicholaus Geibel, der in Furtwangen im Schwarzwald elektrisches Spielzeug herstellte. Seine Tochter Olga tanzte leidenschaftlich gerne auf Bällen. Allerdings klappte es meistens nicht mit den Tanzpartnern, weil sie zu ungeschickt waren. Geibel baute ihr deshalb einen elektrischen Tanzpartner, der zwar etwas quietschte, aber ein fantastischer Tänzer war. Doch dann lief er plötzlich vollkommen aus dem Ruder und richtete auf dem Tanzball das totale Chaos an. Hier kann man die komplette Geschichte nachlesen: http://www.sff.net/people/DoyleMacdonald/l_dancing.htm Da war richtig viel Text zu bearbeiten und die Geschichte war sehr lustig, ich machte mich an die Kompositionen und sang die Texte, wie sie im Buch standen, das funktionierte ausgesprochen gut. Also keine Bearbeitung der Geschichte für klassisches Songformat, das hatten sich nicht mal The Who oder Genesis geleistet. Das nahm ja opereske Dimensionen an. Die Zeitschrift Spex beschrieb die Kassette als GAU des Monats (Größte Angenehme Überraschung der monatlichen Tapebesprechungen) und es traute sich niemand, etwas gegen dieses Tape zu sagen, denn Schwefel war jetzt cool und es schien, als wäre es dem Hörer egal, was er da vorgesetzt bekam: Wenn Schwefel drauf steht, wirds schon ok sein. Eine reine Imagefrage.
Es war aufwendiger, dieses Tape herzustellen als die davor. Waren die Dinge mir bis jetzt instinktiv zugeflogen, musste man hier nun genau überlegen, wie man die Texte unterkriegen soll. Man musste die Reihenfolge einhalten und die Kassette war mit 52 Minuten auch erheblich länger, als die beiden Vorgänger. Aber ich arbeitete sehr engagiert den Winter durch und als ich sie nach Jahren wieder hörte, war mein erster Eindruck, dass vor allem Martin Buchholz bei Lieutenant Fritz ein echtes Highlight auf dem Saxofon gespielt hat. Das später in der Presse hoch gelobte Sax fand hier seinen Ursprung. Ich sah Martin Buchholz zum ersten Mal als Gast der Punkband Stiebel Eltron, in der auch Charles Lemming (Sänger von Schizophrenic Party) Gitarre spielte. Er wirkte irgendwie intellektuell und man hatte den Eindruck, dass er genau wusste, was er da tat. Eigentlich passten wir nicht wirklich zusammen, aber das war wohl auch das Ungewöhnliche: Rock’n Roll Scarface trifft auf smarten jungen Mann. Wir haben uns immer gemocht und respektiert. Martin Buchholz sollte kurze Zeit später das erste offizielle Mitglied der Band Schwefel neben mir sein, aber das dauerte noch etwas.
Das Cover war diesmal etwas anzüglich geraten und mit einem kopierten bebilderten Booklet im Selbstbastelstil aufwendiger gestaltet.
Mike Rausch, mit dem ich früher bei Backwahn gespielt hatte und für dessen jetziges New Wave Trio 33 Eskimaux (wieder mit Lemming) ich ein Demo aufgenommen hatte, hörte das Tape und meinte, dass es doch toll wäre, das auch live auf die Bühne zu bringen. Ehrlich gesagt war ich ziemlich überrascht, denn ich hatte zwar schon in etlichen Bands Live-Erfahrung gesammelt, aber für mich war Schwefel ein reines Studioprojekt und die kläglichen Versuche, Schizophrenic Party live zu spielen, steigerten nicht gerade mein Selbstvertrauen, eine Liveband zu gründen. Jörg Fischer (vox on 6) sollte die zweite Gitarre spielen, Jack Kugler (bass on 4) Bass und Mike Rausch himself die Keyboards. Die Drums sollten von einer Drummachine kommen, denn das war ja auch auf den Tapes immer so. Die Besetzung bot sich an, weil die Musiker außer Mike, der erst auf dem nächsten Tape zu hören ist, alle auf The Dancing Partner mitgespielt haben. Geprobt wurde in der Wormser Fabrik, wo auch regelmäßig ein Vertreter des EFA Vertriebs auftauchte (ehemaliger Vertrieb, der aus dem Ton Steine Scherben Label David Volksmund Produktion hervorging). Er versuchte seine neusten Produkte der ehemaligen Backwahn Sängerin Heide Wehe zu verkaufen, die wiederum die Platten in der Kommune weitergab. Heide machte ihn mit der Musik von Schwefel bekannt.
Unser erster Auftritt sollte in der Ladenburger Kiste stattfinden. Alle Beteiligten, die auf dem Tape dabei waren, sollten mitmachen. Das Ganze war als großes Spektakel geplant, was es auch wurde: Ein Spektakel unerfahrener Musiker, die die Ursprungsform nicht umzusetzen verstanden. Ich glaube, wir spielten in dieser Besetzung noch einen zweiten Gig im Freiburger Crash, wo wir uns nochmal an Schizophrenic Party vergriffen, es hatte auch dieses Mal wieder nichts mit dem Original zu tun, so löste ich solidarisch nach zwei Auftritten die Band auf.
Die Eroberung Berlins in zwei Atemzügen
Martin Kehrer, den ich das erste Mal sah, als er bei einer Probe meiner Experimentalband Le Tombeau in einer Ludwigshafener Bahnhofunterführung einfach ohne ein Wort zu sagen in den Raum trat, sich eine Orgie kreischender Gesangsausbrüche begleitet von quietschenden Korg MS 20 Filtern und überschlagenden Feedbacks anhörte, um dann wortlos wieder zu verschwinden. Dieser Martin Kehrer rief mich eines Nachts an, weil er seiner Freundin gerade ein Lied geschrieben hatte und es bei mir aufnehmen wollte. Seine Gitarre und eine heftige Ladung Speed im Gepäck machten wir eine Nacht durch – und fertig war der Song. Er hatte eine tolle Stimme, klang zwar immer irgendwie nach Johnny Rotten, sah aber mit seiner großen dürren Statur und seiner Hakennase besser aus. Zur gleichen Zeit wurde mir von Jack Kugler Peter Weinkötz vorgestellt, ein großer Waldschrat, der mit seiner langen Haarpracht und Vollbart aussah wie Karl Marx persönlich. Ihm gefiel The Dancing Partner und er wollte sich für das Projekt einsetzen, so dass er ab diesem Zeitpunkt bis heute alle Projekte von Schwefel als Berater und teilweise als Teilhaber begleitet. Martin Kehrer und Weini, wie er genannt wird, waren zufälligerweise alte Freunde. Weini wollte Martins damalige Band (Carnivarous Romance), die zum größten Teil aus Musikern von der ehemaligen Punkband Stiebel Eltron bestand, finanziell unterstützen und ihnen eine Schallplattenproduktion ermöglichen. Sie wollten zusammen nach Berlin fahren, um für Carnivarous Romance Auftritte auszumachen. Eine Band hatte ich zwar nicht, aber dafür drei Tapes, und es war kein Problem für mich, ein Demo zusammenzustellen, also meinte Weini, ich solle doch mitfahren, man würde ja sehen, was dabei raus käme. Ich war vorher nie in Berlin gewesen und die Sprache an der Grenze kam mir sehr fremdartig vor. In der Stadt angekommen, holte Martin die Stadtmagazine Tip und Zitty, um Clubs ausfindig zu machen, wo man auftreten könnte. Martin telefonierte die Clubs ab und teilweise landeten wir in sehr seltsamen Gegenden. Es war sinnlos, die Stadt kam mir riesig vor und Martin bekam von Doro im Swing eine einzige Zusage, wobei sie ihm mitteilte, dass seine Band ja noch ok wäre, wenn man dagegen Schwefel höre… Ok, wir fuhren zurück, in dieser Stadt fühlte ich mich verloren.
Mittlerweile war Schizophrenic Party in Hamburg auf dem Kassettensampler Nouvox gelandet, den hatte wiederum Mirko Krüger in Berlin gekriegt. Er schickte mir daraufhin einen Brief, in dem stand, dass er mir einen Schallplattenvertrag anbieten wolle. Hä, ein Schallplattenvertrag? Das war doch mehr was für die Profis, für all die großen Helden von musikalischen Köstlichkeiten aus meiner Schallplattensammlung.
Weini, Martin und ich setzten uns also zusammen in Weinis alte Klapperkiste und fuhren nach Berlin, um meine neue Plattenfirma zu besuchen. Wohnen konnten wir bei einem Freund von mir, den ich noch aus Lampertheim kannte. Er war etwas jünger als ich und gerade vor der Bundeswehr nach Berlin geflohen. Wir steuerten sofort die Oranienstraße in Kreuzberg an. In den besetzten Häusern trieb sich mein Lampertheimer Freund herum und wir wurden mit einer heftigen Ladung Speed begrüßt, ein Stoff von einer Qualität, die wir aus Mannheim nicht kannten. Vollkommen gedopt rannten wir durch die Stadt. Die Wohnung, in der wir wohnten, war sehr siffig, auf einer Matratze war ein riesengroßer Wichsfleck, mindestens ein halber Quadratmeter groß, von unserem Gastgeber, so was hatte ich noch nicht gesehen, oder ist das normal in Berlin?
Unser Gastgeber versuchte, uns durch die Großstadt zu lotsen, indem er seinen ganzen Körper aus dem Auto hängte und immer mal wieder schreiend nach dem Weg fragte. Weini blieb nie stehen und unser Stadtführer lehnte sich immer weiter aus dem Auto und wurde immer verrückter. Dass der verrückteste Berliner, den ich kannte, ausgerechnet aus Lampertheim kam, war auch lustig. In der Nacht packte ich meinen alten Armeeschlafsack aus, den mir jemand geschenkt hatte. Er war löchrig und überall kamen die Daunenfedern raus. In dieser Nacht griffen mich die Federn an und am nächsten Morgen hatte sich über meiner Oberlippe ein riesiger unschöner Herpes entwickelt. „Mach dir nichts draus“, sagten mir ein paar Berliner Hausbesetzer, „das kommt hier schon mal vor, das nennen wir die Schleppscheiße.“ Na super, ich wollte eigentlich bei einer Schallplattenfirma vorsprechen und den Aufstieg starten und Groupies sichern, jetzt sah ich aus wie ein Zombie. Es hatte sich schnell rumgesprochen, dass wir in der Stadt waren und ich konnte einen Termin mit Mirko Krüger ausmachen, im Gepäck hatte ich mein neustes Tape. Ich glaube nicht, dass er wirklich davon begeistert war, vielleicht bemerkte er auch die verrufenen Ambitionen, die in diesem Werk steckten. Er hatte sich doch in die Schizophrenic Party verliebt und hörte jetzt Musik, die anders war. Auffällig jung war er, 18 Jahre alt und Pet Shop Boys Fan, hatte aber damals schon ein Tape von My Bloody Valentine im Programm, die in den frühen 90ern enorm erfolgreich wurden. Aber leider nicht auf seinem Label. Das Label hatte diesen seltsamen Namen Schuldige Scheitel Records, was mir gefiel. Eine Schallplatte hatte er noch nicht veröffentlicht, die von Schwefel sollte seine erste werden. Bis dahin dauerte es aber noch etwas. Auf jeden Fall erschien mir dieses Mal Berlin viel kleiner, alles spielte sich in Kreuzberg ab, eine Sackgasse vor der Mauer. Alle, die irgendwie ausstiegen oder innovative Musik oder Kunst machen wollten, kamen hier zusammen. Ich hatte sogar das Gefühl, alle würden sie sich irgendwie für mich interessieren, fremde Mädels nahmen mich mit ins Kino und ich sah meinen ersten Jim Jarmusch Film Down by Law und es schien, als nehme ich ganz Berlin in einem Zug.
Texte von NORBERT SCHWEFEL